Sonntag, 1. August 2021

Wenn der schwarze Vogel seine Flügel über dich legt...(Teil2)

Bevor du diesen Beitrag liest, möchte ich darauf hinweisen, dass es sich dabei um das Thema Depressionen drehen wird. Auch wenn ich nur über eigene Erfahrungen berichte, möchte ich nicht, dass jemand dadurch getriggert wird.

Ich weiß noch sehr genau, wie ich das Gefühl hatte, die Welt würde sich ohne mich weiterdrehen und ich bin dazu verdammt, als Zaungast keine Rolle mehr zu spielen. Das Bild, welches ich von meiner Umwelt hatte, war nicht klar. Es war auch nicht verschleiert, es war einfach anders. Als würde ich einen Film ansehen, dessen Handlung ich nicht greifen konnte. Einen Film, der eher verwackelt und unscharf war. Das machte mir erneut Angst. Was passierte da genau? Würde ich meinen Verstand verlieren? Nachdem ich nachts immer weniger schlafen konnte, nahm ich mit wackligen Beinen und überfülltem Kopf einen zweiten Anlauf und hatte einen Termin bei einer Psychiaterin. Sie nahm sich eine Stunde für mich Zeit. Eine Stunde! Ich war vollkommen fertig nach diesem Gespräch, aber auch froh, dass ich eine Ärztin gefunden hatte, die mir wirklich zuhört. Die meine Ängste ernst nahm, meine Symptome nicht runterspielte, sondern sogar Erklärungen dafür hatte. Sie stellte die Diagnose mittelschwere depressive Episode und verschrieb mir Antidepressiva. Von da an benötigte ich sehr viel Geduld. Nach anfänglichen Nebenwirkungen dauerte es fast 3 Monate, bis ich das Gefühl hatte, mich zu stabilisieren. Es ging langsam voran, sehr langsam. Doch ich begann mich wieder zu fühlen. Mich, nicht die Dinge, die ich in den letzten Wochen gefühlt und gehasst hatte. Ich konnte das Haus wieder verlassen, ohne dieses mulmige Gefühl, dass es mir gleich die Beine wegzieht. Ich wurde mutiger.

In dieser Zeit begann ich sehr viel über mein Leben nachzudenken. Mir wurde nach und nach bewusst, dass ich sehr empathisch bin, wenn es um andere Menschen geht. Mich selbst behandelte ich einfach gar nicht. Ich existierte quasi nicht in meiner eigenen Welt. Das wurde auch ganz schnell zum Thema bei einer Psychotherapeutin. Ich hatte anfangs aller 14 Tage eine Einzelsitzung, welche ich jetzt nur noch aller 4 Wochen besuche. In meinem Kopf wurde langsam alles wieder ordentlich abgeheftet. Es tat so gut, neue Impulse und Erklärungen für mein Chaos im Kopf zu bekommen. Diese Ruhe in meinem Kopf brachte mich runter. Doch ich fühlte mich innen leer, ausgebrannt und total erschöpft. Ich hatte das Gefühl ganze Tage an Schlaf nachholen zu müssen. Auf einen therapeutischen Rat hin, nahm ich mir Zeit für mich. Nur für mich! Ich konnte mich nicht errinnern, wann ich mich in den letzten 20 Jahren an erste Stelle gesetzt hatte. Kinder, Job und pflegerische Maßnahmen für Familienangehörige waren wichtiger als mein Seelenheil. Lieber Ja sagen. Immer funktionieren. Wer nichts leistet, ist nichts wert! Das ist in Stein gemeiselt, seit meiner frühesten Kindheit. So überging ich anfängliche Warnhinweise meines Körpers und fand mich nun in dieser Lage wieder, in der mein Körper dicht machte und ich nur langsam verstand, dass meine erkrankte Seele die eigentliche Ursache war.

Ich habe vieles noch nicht verarbeitet in meinem Leben. Manche Tage sind ein einziger Kampf mit mir selbst. Immer wieder richte ich eine gewisse Wut gegen mich, obwohl sie eigentlich für andere bestimmt sein sollte. Ich rechtfertige mich für meine Entscheidungen und zwar vor mir selbst. Mein schlechtes Gewissen ist manchmal so laut, dass mir meine Familie immer wieder bestätigen muss, dass ich jetzt egoistisch sein darf. Es ist auch für sie keine leichte Zeit. Wir haben alle gemeinsam geweint. Sie waren immer an meiner Seite, ließen mir Raum und Zeit, wenn mir alles zuviel erschien. Ich habe gelernt Stopp zu sagen. Auf mein Inneres zu hören und Stress als schädlich zu sehen, wenn ich wieder viel zu viel auf einmal machen will. Ich versuche mich nicht mehr unter Druck zu setzten, klappt mal mehr, mal weniger. Derzeit habe ich keine Ahnung, wo mich mein Weg hinführen wird. Fakt ist, ohne all die Hilfe wäre ich sicher noch nicht an dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Es ist tragisch und gut zugleich, dass ich nicht mehr körperlich funktionierte. Ich wäre wohl weitergerannt. Hätte mich der Hoffnung hingegeben, dass alles von allein wieder besser wird. Ich musste einsehen, dass ich mir nicht selbst helfen konnte und das es ok ist, auch mal schwach und nicht perfekt zu sein. Meine Therapeutin ist der Meinung, dass es an der Zeit ist, sich Ecken und Kanten zu zulegen. Mal sehen, wie ich das anstelle.

Im Hier und Jetzt habe ich mich dazu durchgerungen, eine medizinische Reha zu beantragen, die mir bereits bewilligt wurde. Ich werde diese Rehabilitation für 5 Wochen stationär machen. Die Klinik, dir mir zugeteilt wurde, passt ganz gut zu mir. Genaues kann ich natürlich erst sagen, wenn ich dort war. Ich habe das Gefühl, dass ich Abstand brauche. Abstand von meiner alten Lebensweise, von meinen jahrelang antrainierten Verhaltensmustern. In den letzten Jahren habe ich einfach nur funktioniert und alles sehr persönlich genommen. Das muss ein Ende haben. Ich will wieder glücklich sein und frei von Gedanken, die mich in finstere Löcher ziehen. Meine Selbstzweifel müssen auf ein gesundes Maß zurückgebracht werden. Ich bin nicht diese Krankheit. Ich bin viel mehr als das. Auch wenn es ein schwieriger Weg sein wird, so hoffe ich, dass ich auf Menschen treffe, die sich mit psychischen Erkrankungen auskennen und mir weiterhelfen können, auch mit der Depression ein erfülltes Leben zu führen. Die mentale Gesundheit sollte ein wichtiger Bestandteil bei der Behandlung aller Krankheiten sein. Ich werde versuchen in Zukunft mehr auf mich zu achten.

Unter dem Hashtag #notjustsad bei Twitter und Instagram wurde mir bewusst, dass es viele Menschen gibt, die mit ihrer psychischen Gesundheit hadern. Die sich verschämt verstecken, in ihrem Umfeld einfach nur funktionieren, Lächeln vortäuschen und sich abkapseln. Das muss aufhören. Es kann jeden treffen. Es gibt nicht die eine Depression. Diese Krankheit hat so viele Gesichter, viele Geschichten, die wir hören sollten. Es ist Zeit, dass die Stigmatisierung aufhört. Betroffene sollten reden können, ohne dass ihre Worte gewertet werden, ohne Ratschläge zu bekommen, die nicht helfen. Es braucht vor allem Verständnis und Aufklärung, dass man sich nicht anstellt, wenn man seelisch einfach am Ende ist. Ein Mensch mit dieser Diagnose ist nicht faul. Es ist einfach nicht genug Kraft für alle Dinge da, manchmal eben auch nicht für alltägliche Aufgaben. Den inneren Kampf den diese Menschen Tag für Tag kämpfen, sieht man nicht. Doch er ist da. Diese Menschen sind nicht alle traurig und heulen den ganzen Tag. Sie sind einfach leer, haben sehr große Selbstzweifel, fühlen sich einsam, trotz lieber Menschen um sie herum, haben Angst zu versagen, haben Panikattacken und psychosomatische Störungen. Sie fahren täglich mit einem Gedankenkarrussell, dass es unmöglich macht, einfach auszusteigen. Bitte schaut nicht weg, sondern hört diesen Menschen zu. Im besten Fall zeigt ihr dafür Verständnis und gebt keine Wertung ab.

Solltest du dich mental krank fühlen, dann bitte suche dir Hilfe. Es ist ein Kampf, ja. Aber es ist ein noch viel schlimmerer Kampf, wenn du ihn allein bewältigen musst.

 

Hier findest du den 1. Teil...