Dienstag, 20. Juli 2021

Das Paradies meines Nachbarn - Nava Ebrahimi

Du hast deine Chance auf ein besseres Leben genutzt. Deine Unterschrift auf diesem einen Zettel hast du nach all der Zeit vergessen. Doch die Verantwortung und die Schuld trägst du trotzdem mit dir und beides wird dich irgendwann einholen.

Ali Najjar wurde in Teheran geboren und kam als Jugendlicher nach Deutschland. Allein schlägt der ehemalige Kindersoldat sich durch das Leben und klettert mit seiner Einstellung, dass nichts ihm mehr Angst machen kann, immer weiter die Karriereleiter nach oben. Als gefeierter Designer will er seiner Mutter zeigen, dass er es geschafft hat. Er hat seine Chance genutzt und hofft, seine Mutter sieht seine Bemühungen. Dass sie ihren Sohn besucht hat, nach der langen Zeit und gern nach Holland reisen will, um Tulpen zu sehen, übergeht er mit seiner Geschäftigkeit. Eines Tages bekommt er eine SMS, die ihm ein ungutes Gefühl im Magen beschert. Wer ist dieser für ihn unbekannte Freund seiner Mutter, der einen Brief von ihr hat, den er unbedingt lesen muss. Statt selbst zum vereinbarten Treffpunkt zu reisen, schickt er seinen Angestellten Sina hin. Er soll sich für Ali Najjar ausgeben und so herausfinden, was der Fremde will.

"Das Paradies meines Nachbarn" aus der Feder der Autorin Nava Ebrahimi ist ein Roman, der vor allem gesellschaftskritisch auf unterschiedliche Kulturen blickt, die vor allem das Leben eint. Kernpunkt des Plots ist die Frage nach Schuld und Verantwortung sich selbst, aber vor allem anderen gegenüber. Ganz geklärt wird diese Frage jedoch nicht, was den Roman nicht weniger lesenswert macht, sondern vor allem zum Nachdenken anregt. Die Figuren sind sehr menschlich gezeichnet, wobei Ali Najjar als eher harter Charakter erscheint, den man erst im Laufe der Handlung besser verstehen lernt. Sina hingegen ist eine Figur, mit der sich die LeserInnen sicher identifizieren können, auch wenn er eher in einer kleines Identitätskrise zu stecken scheint. Im Mittelpunkt des Plots stehen diese geheimnisvollen Zeilen von Alis Mutter. Erst nach und nach wird ersichtlich, dass der Fremde, der den Brief überbringen möchte mehr mit Ali gemeinsam hat, als diesem bewusst ist. Die Geschichte des Fremden ist von viel Leid geprägt und Sina stellt schnell fest, dass Ali sich offensichtlich seiner Wahrheit nicht stellen will.

Mir hat "Das Paradies meines Nachbarn" sehr gut gefallen, auch wenn es nicht unbedingt leichte Kost ist, wenn man am Ende des Buches die ganze Wahrheit weiß. Die Verbindung zweier Welten, die zugleich zwei Heimaten sind, macht das Buch der Autorin ehrlich. Die Autorin richtet nicht, sie überlässt die Wertung der Personen und der Situation einzig und allein ihren LeserInnen. Nava Ebrahimi schreibt sehr klar und geradlinig. Ihre Geschichte bestitzt sehr viel Tiefe und  Gefühle zwischen den Zeilen. Der Roman fängt aus meiner Sicht laut an und wird von Kapitel zu Kapitel immer leiser. Die Zeilen berührten mich mehr und mehr, so dass dieses Buch noch lange in meinem Gedächtnis bleiben wird und die Frage der Verantwortung oder der Schuld am Ende auch für mich nicht so einfach zu klären ist. Nicht immer ist das Gras beim Nachbarn grüner, besonders nicht, wenn man herausfindet, welches Päckchen er zu tragen hat. Bewusst oder unbewusst.


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Das Paradies meines Nachbarn - Nava Ebrahimi
Gebundene Ausgabe - btb Verlag - erschienen Februar 2020
Belletristik - ISBN 978-344-27586-92 - Preis: 20,00 €