Dienstag, 30. Juni 2020

Um 180 Grad - Julia C. Werner

Wir reden miteinander, aber hören wir auch, was der andere sagt. Zuhören ist wichtig. Besonders dann, wenn wir am liebsten weghören würden.

Jugendbuch Um 180 Grad mit Rosen

Der 14jährige Lennard hat Mist gebaut und wird von seinen Eltern zu Sozialstunden in einem Altersheim verdonnert. Als Lesepate soll er eine Stunde die Woche bei einer Bewohnerin verbringen. Bock hat er da überhaupt nicht drauf. Doch wenn es schon eine Vorlesestunde sein muss, dann will er auch das Buch bestimmen. Er entscheidet sich für "Tschick", weil er die Story cool findet. Die alte Frau Silberstein bemerkt bereits beim ersten Treffen, dass Lennard keine Lust hat, bei ihr zu sein. Sie weiß, dass er es nicht freiwillig tut. Sie lässt ihm die Wahl, ob er die Zeit bei ihr absitzt oder einfach seiner Wege geht. Lennard zögert, bleibt aber. Langsam nähern sich die beiden an. Das Vertrauen zu Lennard wird so groß, dass Frau Silberstein im Rollstuhl sitzend einwilligt, mit Lennard raus in die Sonne zu gehen. Es entsteht eine Bindung zwischen den beiden, die Frau Silberstein veranlasst, von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Lennard wird klar, dass er zuhören muss, denn wenn er es nicht tut, dann ist es vielleicht zu spät. Frau Silberstein ist Jüdin und hat Ausschwitz überlebt.

Manchmal dreht sich das Leben "Um 180 Grad". Dann ist nichts mehr, wie es einmal war. Lennard erlebt das und Frau Silberstein hat es erlebt. Julia C. Werner hat einen gefühlvollen, aber auch nachdenklichen Jugendroman für Jugendliche ab 13 Jahren geschrieben. Auch wenn Lennard etwas zu pupertär wirkt, so transportiert der Roman doch eine sehr wichtige Botschaft. Gegen das Vergessen. Die Zeit verrinnt und Menschen, die den Holocaust erlebten und überlebten, werden weniger und weniger. Gerade deshalb ist es immens wichtig, dass sie ihre Geschichten erzählen. Dass wir ihnen unbedingt zuhören. Auch wenn Frau Silberstein eine ausgedachte Person der Autorin ist, so könnte die Situation zwischen Lennard und ihr, doch genaus so stattgefunden haben. Irgendwo da draußen gibt es eine Frau Silberstein, die noch etwas zu erzählen hat.

Amsel

"Um 180 Grad" ist ein Buch, welches eher laut beginnt und ganz leise endet. Lennard entwickelt sich weiter, während wir ihm bei seiner Geschichte folgen. Trotzdem bleibt er verschiedenen Klischees eines männlichen Teenagers treu. Julia C. Werner zeichnet die Figuren ihres Romanes sehr menschlich, für meinen Geschmack auch zuweilen etwas übertrieben. Vielleicht fehlt mir aber auch der Einblick in das Leben eines Jungen im Alter von 14 Jahren. Die Autorin hat einen leichten Schreibstil, manchmal sogar sehr zackig und rasant, so dass das Buch schnell gelesen ist. Zum Glück lässt es einen dann aber nicht sofort los. Ihre Botschaft, dass es nach wie vor wichtig ist, an die Opfer des Holocaust zu erinnern, ihn nicht zu verleugnen, nicht die Schuldfrage zu klären, sondern einfach an die Menschlichkeit, an die Empathie und das Verständnis zu appellieren, dürfte nicht schwer heraus zu lesen sein. Gerade Lennard macht hier einen großen Sprung in Richtung des Erwachsenensein und sich der Verantwortung dessen bewusst zu werden.

Ich habe das Buch an einem Tag gelesen, weil es sich leicht lesen lässt, aber vor allem weil sich immer wieder Spannung aufbaute. Auch wenn es sich bei "Um 180 Grad" um ein Jugendbuch handelt, sollten vor allem auch Erwachsene es lesen. Neben dem Thema des Holocaust wird besonders durch Lennards Eltern auch das Thema der Altenpflege hervorgehoben. In leisen Untertönen wird sichtbar, wie wenig Zeit den Pflegenden für die Menschen bleibt und vor allem wie schwer sich Angehörige mit der Entscheidung für ein Altersheim tun. Es zeigt, wie schwer ein Abschied fallen kann, mit wie wenig man zufrieden und glücklich sein sollte und wie liebevoll Jugendliche sein können, wenn man sie einfach mal machen lässt.


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Um 180 Grad - Julia C. Werner - Jugendliteratur
ab 13 Jahren - Gebundene Ausgabe - Verlag Urachhaus
ISBN 978-3-825-15237-6 - Preis: 18,00 Euro