Freitag, 31. August 2018

Und jeden Morgen das Meer - Karl-Heinz Ott

Das Meer kann tosen. Es bäumt sich auf, verbindet sich mit dem Sturm. Das Meer kann ruhig und friedlich sein. Es glitzert, es rauscht, freundet sich mit den Sonnenstrahlen an. Ist es möglich, dass ein Blick auf das Meer reicht, um eine gewisse Zufriedenheit in uns auszulösen?


Sonja führte gemeinsam mit ihrem Mann Bruno 30 Jahre lang das Hotel aus Familienbesitz am Bodensee. Bruno bekam als Koch sogar einen Stern. Doch so ein Stern ist nicht immer das Glück eines jeden Restaurant- oder Hotelbetreibers. Im Fall vom "Lindenhof" ist er sogar der Anfang vom Ende. Von dem Familienunternehmen, von der Ehe, vom Leben. Bruno begeht Selbstmord. Sonja muss mit 62 Jahren von vorn beginnen. Brunos Bruder nimmt ihre alles. Nur ein Koffer voller Kleidung ist ihr geblieben. Sie verschwindet innerlich. Zieht sich zurück. Merkt, dass solange man Erfolg hat, die Menschen einem zur Seite stehen, sich im eigenen Ruhm mitsonnen wollen. Doch jetzt wo sie allein ist, hilft ihr niemand außer Mister Pettibone. Auch wenn er sie warnt, dass die vollkommen heruntergekommene Pension seines Onkels in Wales Sonja nicht zum Erfolg führen wird...

"Und jeden Morgen das Meer" von Karl-Heinz Ott ist ein Roman, der zwar dünn in der Erscheinung, aber keinesfalls dürftig im Inhalt ist. Wenn mich beim Lesen zuweilen auch ein etwas düsterer Eindruck begleitet hat, so ist mir Sonja doch ans Herz gewachsen. Eine starke Protagonistin, die leider viel zu spät merkt, dass Erfolg ihr nie das Wichtigste im Leben war. Karl-Heinz Ott lässt den Leser vordergründig an der Gedankenwelt der Hauptfigur teilhaben. Das Buch besitzt keine wirklichen Kapitel, sondern erzählt in kurzen und auch langen Abschnitten, was Sonja erlebt hat oder erlebt. Direkte Rede ist quasi nicht vorhanden, was das Buch nicht unbedingt zum massenkompatiblen Pageturner macht. 

Es ist ein Buch, welches man nicht eben zwischendurch lesen sollte. Es braucht Zeit, auch wenn es nur 144 Seiten umfasst. Auf diesen Seiten erfährt der Leser, dass Sonja schon immer dazu angehalten war, in ihrem Leben erfolgreich zu sein. Dass sie nicht aus überschwänglicher Schwärmerei und blinder Liebe heiratete. Dass sie sich manchmal nichts mehr wünschte, als Geborgenheit und geliebt zu werden. Stattdessen ihre Haltung in jeder Situation wahren musste. All das weckt ein gewisses Mitgefühl und die Hoffnung auf eine glückliche Wendung im Leben der Protagonistin.

Das Ende ist nicht unbedingt ein Happy End, welches der breiten Lesemasse vorschweben würde. Es zeigt aber, dass man nachdenken sollte, was wichtig im eigenen Leben ist. Manchmal ist das Nichts eines Neuanfangs, der Absturz aus dem alten Ich, besser als das, was man jahrelang, jahrzehntelang mitgemacht hat, mitmachen musste. Das ewige Streben nach Erfolg. Das Funktionieren und nicht ausruhen dürfen. Das ständige Gleichsetzen von Erfolg und Glück. Ist dieses Glück mit unbedingtem Erfolg verbunden? Oder gibt es das Glück ohne Erfolgsdruck, die Zufriedenheit, die Einfachheit des Lebens. Den Blick auf die Weite des Meeres.


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Und jeden Morgen das Meer - Karl-Heinz Ott
Roman - Gebundene Ausgabe - Hanser Literaturverlage
ISBN: 978-3-446-25995-9 - Preis: 18,00 € (D) - 18,50 € (A)