- Mit welchem Recht stellen wir uns über andere Menschen. Mit welchem Recht machen wir uns Menschen untertan, berauben sie ihrer Freiheit, halten sie klein, bestimmen, was sie dürfen und was nicht. Mit welchem Recht bestrafen wir sie auf unmenschlichste Arten, wenn sie nur einen Spaziergang machen wollen. Warum nötigen wir sie Dinge zu tun, die wir nicht tun möchten. Warum darf man nicht mit ihnen lachen, spielen oder gar befreundet sein. Warum? Das frag ich dich! -
Als Sarah zu ihrem 11. Geburtstag die 10jährige Hetty geschenkt bekommt, sträubt sich alles in ihr. Ihr soll ein Mensch gehören, ein eigenes Sklavenmädchen? Warum sollte Hetty ihr Dienstmädchen sein? Aller Widerstand bringt in ihrem elterlichen Haus in Charleston nichts und sie fügt sich. Sarah ist ein willenstarkes Kind, welches sich in den Kopf gesetzt hat, die Welt zu erobern, auch wenn sie einmal als Frau durch diese schreiten wird. Belächelt und verspottet von ihrem Vater und von ihren Brüdern bringt sie verbotenerweise Hetty das Lesen bei. Mit jedem Jahr welches vergeht, regt sich in Sarah mehr und mehr der Kampfgeist, etwas gegen die Ungerechtigkeit gegenüber den schwarzen Angestellten in ihrem Haus zu unternehmen. Hetty hingegen sehnt sich nach Freiheit, nach einem eigenen Leben, nach eigenem Geld und Selbstbestimmung. Beide spüren, dass sie nicht nur unterschiedlicher Herkunft und Standes sind, sondern dass sich in ihnen etwas befindet, was sie für immer verbindet und sie in die gleiche Richtung gehen lässt.
"Die Erfindung der Flügel" von Sue Monk Kidd befasst sich mit der Sklaverei des 19. Jahrhunderts in den Südstaaten der USA. Aus zweierlei Sicht beschreibt die Autorin in einer ernsten, aber auch zugleich gefühlvollen Geschichte, die innere Zerrissenheit und die Aufruhr, die so langsam aus Richtung der Nordstaaten heranwehte. Das Buch bezieht sich dabei auf einen Zeitraum von einigen Jahrzehnten, um die Entwicklung der Figuren und der Ereignisse besser begreifbar zu machen. Sarah und ihre Schwester Angelina, die im Buch ebenfalls eine sehr starke Rolle spielt, sind dabei geschichtlich belegbar. Ihr Kampf gegen die ungerechte Behandlung der schwarzen Mitbürger diente als Vorlage für Sue Monk Kidd, in etwas abgewandelter Form und mit mehr oder weniger künstlicher Freiheit einen Plot zu schaffen, der im Grunde doch auch der vollen Wahrheit entsprechen könnte. Dadurch besitzt die Geschichte ein hohes Maß an Authentizität und sollte nicht nur als Frauenliteratur angesehen werden. Dass dafür ein enormer Aufwand an Recherchearbeit notwendig war, dürfte sich von selbst erklären.
Sue Monk Kidd schafft es, einen Teil der amerikanischen Geschichte lebendig vor das geistige Auge zu projizieren. Meist so real, dass man sich mitten im Geschehen befindet und Freud und Leid der Figuren hautnah erleben kann. Es ist mit einer Liebe zu detaillierten Beschreibungen verfasst, die es trotz des ernsten Themas zu einem sehr lesenswerten und beinah leichtem Buch machen. Die wechselnden Perspektiven bauen und halten wunderbar die Spannung und das auch bis zum Ende hin. Doch auch die schockierenden Ereignisse und der Kampf der beiden Schwestern tragen sehr dazu bei, dass es schwer fällt, das Buch aus der Hand zu legen. "Die Erfindung der Flügel" ist eine Geschichte über das Schweigen und das Aussprechen von Wahrheiten zum Thema Menschenrechte, die nicht aktuell genug sein können. Es ist wichtig, das solche Geschichten, die zum Teil auf wahren Begebenheiten basieren, geschrieben und gelesen werden, damit niemand vergisst, das Menschen auch menschlich handeln sollten, egal welchem Land, welcher Farbe oder welcher Religion sie angehören.
Auch wenn dieses Buch vorrangig als Frauenliteratur eingestuft wird, dürfte das Buch ebenso dem einen oder anderen männlichen Leser gut gefallen. Gerade weil es aus der Perspektive der Frauen erzählt, ist vor allem die damalige Stellung der Frau als solches sehr gut nachvollziehbar. Starke Frauen in historischen Geschichten werden leider viel zu wenig dargestellt. Oftmals scheint ihr Streben nicht der Erwähnung wert. Dass dies aber durchaus wichtig ist und dann auch noch sehr lesenswert sein kann, beweist der Roman von Sue Monk Kidd auf wunderbarste Weise. "Die Erfindung der Flügel" ist für mich ein gefühlvolles und zu gleich mahnendes Buch über die Bedeutung von Freundschaft. Eine Freundschaft die so nicht sein durfte. Es ist eine Geschichte über Vertrauen und Mitgefühl, über Hoffnung und über die Flügel, die einem Menschen wachsen können, wenn er nur fest an sich glaubt. Ein Buch, das vor Selbstbewusstsein strotzt, obwohl oder gerade weil es Unterdrückung zum Thema hat.
Taschenbuch - Belletristik - btb Verlag
ISBN 978-3-442-71467-4 - Preis: 9,99 €