Freitag, 2. Juni 2017

Nestgezwitscher mit Lena Gorelik


Am 23. März 2017 saß ich etwas nervös auf einem Stuhl am Rowohlt Stand und wartete darauf, meine Fragen an Lena Gorelik loszuwerden. Sie sei eine Nette und ich müsste mir keinen Kopf machen, sagte man mir. Wer mich nur ein wenig kennt, der weiß, dass ich immer furchtbar nervös bin und Angst davor habe, die blödesten Fragen zu stellen, die mein Gegenüber je beantworten musste. Doch als Lena erschien, dauerte es nicht lange, bis die Nervosität wich. Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass diese schreckliche Angewohnheit nur hinter dem nächsten Bücherregal lauerte, um zu mir zurückzukehren und mir diverse Stotterattacken zu schenken. Keine Chance, dachte sich wohl die Autorin und ergriff das Du mit einem Lächeln.


In deinem neuen Roman "Mehr Schwarz als Lila" geht es um das Erwachsenwerden, um diverse Probleme, die man als Jugendlicher damit hat. Du schreibst dabei in der Ich-Perspektive. Wieviel von der Hauptfigur Alex steckt in dir selbst?

Genauso viel Alex, wie Paul oder Ratte von mir drinsteckt. Ich glaube, dass man immer aus sich selbst herausschreibt. Ich bin nicht nur das Ich von Alex, sondern auch von Paul und Ratte. Gleichzeitig sind die drei aber auch unabhängig von mir. Sie entstehen vielleicht aus mir heraus, aber gehen dann ihre eigenen Wege. Die Ich-Person ist nicht die, die mir am nächsten steht. Das war bei "Die Listensammlerin" zum Beispiel gar nicht der Fall. Dort mochte ich die Ich-Person gar nicht. Die Er-Person stand mir da viel näher. Dennoch habe ich mit Alex viel gemeinsam. Ihren Spieltrieb zum Beispiel, das Übersprudeln von Gedanken und die Risikobereitschaft, das Gefühl mehr zu wollen.

Du hast eine sehr eigene Schreibweise, die ich als kurz und zackig bezeichnen würde. Wie darf man sich die Arbeit am Roman vorstellen? Sprudelt es einfach aus dir heraus? Arbeitest du strickt nach Handlungsgerüst und mit Figurenkarteien?

Was sind denn Figurenkarteien? Ich lege nichts an, ich schreibe nicht chronologisch, sondern schreibe, was mir in dem Moment einfällt. Ich fange nicht vorn an und höre nicht hinten auf. Geschriebenes wird gemischt, aussortiert und es wird wieder neu geschrieben. Ich schreibe das Ende, dann wieder die Mitte. Vielleicht schmeiße ich das Ende dann auch raus oder es kommt an den Anfang. Es sprudelt nicht, es ist eine Art Prozess, der auch mit Zweifeln einhergeht. An einigen Tagen schreibe ich sehr viel und bin damit nicht zufrieden, weil es nicht gut ist. Manchmal schreibe ich nur einen Absatz und bin total von diesem überzeugt.

Wie hast du dich auf diesen Roman vorbereitet? Hast du viel zum Thema Jugendliche gelesen?

Ich habe ganz viel Jugendliteratur gelesen. Manchmal fand ich es anbiedernd, auch wegen der Jugendsprache oder es war mir zu abgehoben literarisch. Mit englischen Romanen habe ich mich leichter getan. "Tschick" von Wolfgang Herrndorf hat es ja auch geschafft. Dort hatte ich das Gefühl gleich in der Geschichte drin zu sein. Dort fand ich auch dieses zack, zack, zack im Schreibstil, welches ich für "Mehr Schwarz als Lila" haben wollte. Der Leser sollte sofort in der Gefühlswelt sein und nicht erst langsam herangeführt werden.

Hast du beim Schreiben bestimmte Rituale? Brauchst du Ruhe oder läuft bestimmte Musik nebenbei?

Ich brauche keine Ruhe, ich könnte auch jetzt hier auf der Buchmesse schreiben. Wenn ich auf Lesereisen bin, dann schreibe ich in Zügen, Flughäfen, Hotels und Cafés. Das klingt vielleicht so, als würde ich Unruhe brauchen. Das stimmt so auch nicht. Ich kann auch zu Hause schreiben. Aber manchmal läuft es nicht so und dann habe ich dieses Ritual, dass ich mich in ein Café setze und mir erst ein Stück Kuchen bestellen darf, wenn ich fünf Seiten geschrieben habe. Das ist aber auch so eine Selbstlüge, die manchmal besser und aber auch schlechter funktioniert.


Wenn du etwas geschrieben hast, wer bekommt es zuerst zu lesen?

Je nach Inhalt habe ich ein paar Vertrauenspersonen, denen ich es manchmal zeige, manchmal aber auch nicht. Es kann durchaus schmerzlich sein, auch wenn ich eine ehrliche Meinung möchte. In 99 % der Fälle tut es doch weh, weil selten jemand sofort begeistert ist. Natürlich gebe ich es diesen Menschen auch, weil ich Kritik möchte, aber verzweifle vielleicht dann an deren Meinung. Es tut manchen Beziehungen nicht gut, wenn Menschen was Geschriebenes von mir bekommen. Und trotzdem gebe ich es ihnen zu lesen.

Wie war das explizit bei "Mehr Schwarz als Lila"? Ich spiele da ein wenig auf die Kussszene an.

Ach die, nein, die stand für mich nie zur Debatte. Ich würde mir nicht sagen lassen, die Szene muss raus. Bei Kritik geht es mir eher darum, dass es sprachlich passt, der Aufbau der Sätze stimmt oder mir jemand sagt, ich lamentiere zu viel. Es geht nicht um den Plot, den machen die Figuren. Sie küssen sich, nicht ich lasse sie küssen.

Wie gehst du mit Kritik am Geschriebenen um?

Es gibt verschiedene Typen von Autoren. Manche sind beleidigt, ich bin eher der Mensch, der anfängt in Selbstzweifeln zu versinken. Ich sage mir dann, ich kann eben nicht schreiben. Es soll Autoren geben, die keine Kritiken lesen. Ich kann das nicht. Ich will das trotzdem wissen.

Findest du selbst noch Zeit zum Lesen? Wenn ja, welche Genres bevorzugst du?

Ich lese wahnsinnig gern. Zu 98 % lese ich Belletristik, aber auch ab und zu Sachbücher. Ich lese auch mal einen Krimi, wenn er gut ist. Ich mag Kinder- und Jugendliteratur. Das einzige Genre, welches ich nicht mag, mochte ich auch als Kind schon nicht, das ist Fantasy. Ich lese Comics, ich lese alles was mir zwischen die Finger kommt. Ich glaube es gehört dazu, wenn man schreibt, dass man auch gern liest. Ich habe immer ein Buch dabei, auch jetzt, wenn ich ein Interviewtermin nach dem anderen hab und ganz genau weiß, ich habe keine einzige Sekunde Zeit zum Lesen.

https://buchgefieder.blogspot.de/2017/03/mehr-schwarz-als-lila-lena-gorelik.html
Nur ein Klick auf's Bild und du landest bei meiner Rezension zum Buch von Lena Gorelik.

Wenn dir jemand einen freien Tag schenken würde, wie würde der aussehen?

Jetzt gerade, weil ich seit wer weiß wie vielen Tagen unterwegs bin und so viele Veranstaltungen habe, würde ich mich einsperren und einen Pyjama anziehen. Die Hälfte der Zeit lesen und die andere Hälfte irgendeine Netflix-Serie gucken und mir zwischendrin beim Inder etwas zu Essen bestellen. Aber das würde ich mir nur im Moment so wünschen, das kann in den nächsten Tagen ganz anders sein.

Hast du denn eine Lieblingsserie?

Gute Frage! Wenn ich mich auf eine perfekte Serie festlegen müsste, dann ist das "Breaking Bad". Die Serie ist das Beste, was je gedreht wurde.

Wenn du mal nicht im Café schreibst, sondern zu Hause, was siehst du dann, wenn du aus dem Fenster schaust?

Mein Schreibtisch steht gar nicht am Fenster. Ich habe kein Arbeitszimmer, aber ein großes Wohnzimmer, wo auch mein Schreibtisch steht. Dort schaue ich dann meist auf ein großes Durcheinander von Legosteinen und Playmobilfiguren und alles was meine Kinder sonst noch so im Wohnzimmer hinterlassen. Plüschtiere, bekritzeltes Papier und so, dann denke ich, ob das nicht mal jemand aufräumen kann.

Überall das Gleiche! Hast du denn etwas Angst vor der Pubertät, wenn deine Kinder in dieses Alter kommen? Du beschäftigst dich in deinem Roman vor allem mit dem Thema.

Nicht unbedingt. Ich war ganz schlimm in meiner Pubertät. Ich war auch oft unglücklich, versehen mit Selbstzweifeln. Der Klassiker in dieser Zeit zu denken, alle sind hübscher als ich. Dann eine Außenseiterphase und den schlimmsten Liebeskummer aller Zeiten. Aber von jetzt aus gesehen, ist es dennoch eine tolle Zeit, weil man so viel erlebt und spürt und man heute mit Abstand sagen kann, aus diesen Gefühlen entsteht alles. Eine Zeit in der viel passiert, finde ich sehr relevant, weil man daraus sehr viel schöpfen kann.

Wenn dir zwischendurch eine Idee kommt, wie hältst du diese dann fest?

Ich habe immer ein Notizbuch dabei. Ich schreibe Unmengen von Notizbüchern voll, aber das ist für die Katz, denn ich habe in diese Notizen noch nie reingeguckt. Das heißt, ich schreibe etwas hinein und einige Dinge davon merke ich mir, die müsste ich dann wiederum nicht aufschreiben, weil sie fest in mir sind. Ich habe eine ganze Kiste mit Notizbüchern, die ich noch nie wieder aufgemacht und gelesen habe. Eigentlich Blödsinn, oder? Ich nehme mir immer wieder vor, mal durch die Notizbücher durchzugehen, aber ich habe es noch nie gemacht.

Letzte Frage, die ich all den Autoren stelle, die ich interviewe. Wenn du ein be- oder geflügeltes Wesen sein könntest, welches wärst du dann und warum?

Frage mich bitte nicht, wie ich darauf komme, aber das erste Wort, was mir dazu einfällt ist Huhn. Ich weiß nicht, ob ich mir da etwas zurechtlege, aber ich denke, Hühner sind vollkommen unterschätzt. Der Hahn ist der Schöne, die Hühner sind nur da, um Eier zu legen. Um die Bedeutung des Huhns hervorzuheben, wäre ich gern ein Huhn. Diese Einstellung, ich will nur Eier legen und dann gegessen werden, ist nicht richtig.


Liebe Lena, ich danke dir für deine Zeit. Vielen lieben Dank für dieses wunderbare und zuweilen sehr amüsante Interview. Ich hoffe sehr, du findest immer wieder Zeit um zu lesen, wenn du gerade keine wunderbaren Romane schreibst. Liebe Zwitscherfreunde, ich hoffe sehr, dass euch das Lesen des Interviews genau so viel Spaß gemacht hat, wie mir das Führen.