Mittwoch, 31. Mai 2017

Von Radebeul zum Orient, in den Wilden Westen und wieder zurück


Wieso kommen jedes Jahr tausende von Menschen im Mai nach Radebeul in den Lößnitzgrund? Ist es der Wein, der hier angebaut wird? Sind es die kleinen Lokale, die zum Verweilen einladen? Kann man hier in malerischer Landschaft gut wandern? Oder gibt es gar einen ganz anderen Grund?


Wie in jedem der vergangenen 26 Jahre erlebten auch in diesem Jahr am vergangenen Wochenende viele Menschen die Karl-May-Festtage in der Nähe des letzten Wohnsitzes des Schriftstellers. An drei Tagen konnte man das bunte Treiben bestaunen, wie es sich der Reiseerzähler wohl gern vorgestellt hätte. Ganz sicher wäre Karl May gern über den bunten Basar geschritten, hätte den Tänzerinnen bei ihren Darbietungen zugesehen. Vielleicht wäre er mit dem Lößnitzdackel gefahren und kurz verschreckt, um dann den fingierten Überfall auf die Schmalspurbahn doch zu genießen. Im Saloon hätte er etwas Feuerwasser geschlürft, hätte im Lößnitz-River nach Gold geschürft, wäre eine Runde Kutsche gefahren oder hoch zu Ross geritten. Oder er hätte sich seiner Reiseerzählungen angenommen und ein paar Worte mit den anwesenden Natives gewechselt. Die Oneida Indian Nation, Logan Staates und Ed Bryant zum Beispiel. Karl May hätte ihren Geschichten, ihren Märchen, ihren Ritualen und ihren Gesängen gelauscht. Und wäre wahrscheinlich zu dem Schluss gekommen, dass viel mehr in diesen Menschen zu finden ist, als es auch heute noch gedacht wird. 


Ich bin nicht Karl May, aber ich habe mir Zeit genommen, an seiner Stelle über die verschiedenen Plätze des Festes zu gehen. Wie in jedem der vergangenen Jahre. Ich habe das erste Karl-May-Fest miterlebt, da war ich mitten in der Pubertät und trotzdem auch schon damals fasziniert von dem bunten Treiben. In den letzten Jahren hat man den Fokus der Unterhaltung auch immer mehr auf die Authentizität besonders der Natives gelenkt. Hier sprechen Menschen, die verschiedenen Stämmen angehören. Es sind Natives, die eine weite Reise aus Kanada oder den USA gemacht haben, um von ihren Ritualen, ihren Märchen, ihrem Leben heute und damals zu erzählen. So können auch Kinder den Unterschied von Totem- und Marterpfahl erklärt bekommen. So sehen Erwachsene, dass Indianer nicht wie Winnetou durch die Gegend reiten und mit Weißen Blutsbruderschaft eingehen. Hier kann man sehen und hören, dass gerade Native manchmal einen sehr eigenen Humor haben. So lernen alle einen respektvolleren Umgang mit der Natur, aber auch mit den Menschen, die anders sind als man selbst. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein.

Sicherlich ist es einfacher sich unterhalten zu lassen, nicht nachzudenken, wie es den Ureinwohnern Nordamerikas früher ging und heute wirklich geht. Was im Übrigen nicht bedeutet, dass man den Tänzen der Oneida nicht bewundernd entgegenblicken kann. Man sollte sich hier ganz bewusst von authentischer Musik oder Filmen unterhalten lassen. Karl May war ein großartiger Erzähler, dem das Leben nicht nur Lorbeeren eingebracht hat. Er hatte nicht nur gute Ansichten, was das Leben der Natives betrifft. Seine Romane schürten viele Vorurteile, viele Klischees. Aber Radebeul ist dabei, diese Ansichten da stehen zu lassen, wo sie hingehören. In seinen Büchern. 


Karl May war nicht nur Reiseerzähler, er war auch ein Mensch, der offen und unbefangen in die Welt blickte und sich in ihr bewegte. Die Oneida Indian Nation die zum wiederholten Mal an den Festtagen teilgenommen haben, hatten wahrscheinlich vorher noch nie etwas von diesem Schriftsteller gehört. Trotzdem nehmen sie jedes Jahr diesen weiten Weg auf sich, um uns und ihrer Nation zu zeigen, dass es wichtig ist, tolerant und respektvoll miteinander umzugehen. Dass man Verständnis für andere Menschen aufbringen sollte, auch wenn sie einem noch so fremd erscheinen. Diese Botschaft ist für mich das Zeichen, welches verbunden mit den Karl-May-Festtagen steht. 

Was genau soll euch dieser Post sagen? Ich weiß es nicht genau, denn geplant war ein ganz anderer Bericht zu meinem Besuch der Festtage. Doch dann hat sich der Bericht verselbstständigt. Beim Schreiben, einfach so. Und nun stehen da meine Gedanken, die hoffentlich auch in einigen anderen Köpfen der Besucher des Festes in ähnlicher Form wenigstens kurzzeitig aufgeploppt sind. Denn neben all dem Ponyreiten, dem Verkauf von Nippes, dem Kinderschminken, dem Langos essen, dem Bogenschießen und Bier trinken, gibt es eben diese eine Realität, dass Indianer eben nicht Winnetou sind, sondern viel mehr.