Gestatten, mein Name ist Jugo! Wie? Du hast noch nicht von mir gehört? Ich, einem Wind, der in Kroatien im Süden sehr stark werden kann. Der mit vielen Wolken, Regen und einer Windstärke von bis zu neun Beaufort charakterisiert wird. Mit mir ist nicht zu spaßen, das sage ich dir. Ich beginne vielleicht ganz still, aber ich wachse schrittweise heran und kann euch bis zu drei Tage lang mit meiner Anwesenheit beehren. Doch Vorsicht! Ich bin unberechenbar. Die Kraft der Natur ist gewaltig, beinah so gewaltig wie die Kraft der Liebe. Vielleicht ist es besser ihr bleibt im Haus und beschützt einander, bevor ihr zu mir nach draußen kommt, da wo die Wellen so hoch schlagen und der Wind euch am Vorankommen hindert...
Es ist Mai auf der kroatischen Insel Brač und Julia beherbergt sechs junge Menschen, die in ihrem abgeschiedenen Gästehaus ein Theaterstück proben wollen. Sie alle sind Laien was die Schauspielerei betrifft. Diese Menschen sind so unterschiedlich wie das Wetter und vor allem gehen sie mit ihren kleinen Sticheleien Julia bald so richtig auf die Nerven. Dabei sind sie umgeben von einer beeindruckenden Landschaft, einer atemberaubenden Felsenküste, einem Meer, dass mit einem blauen Himmel lockt. Doch bevor es den Laiendarstellern gelingt, diese Schönheit zu erkennen, beginnt ein Sturm aufzuziehen. Der launische, gefährliche und wilde Südwind Jugo bringt dabei nicht nur die Natur durcheinander. Er nistet sich ein in den Köpfen der Menschen und bringt ihre Gedanken, ihre Ruhe aus dem Gleichgewicht. Fragen nach dem eigenen Sein werden wach. Jugo schürt nicht nur Ängste, er schafft es, dass die Menschen aus sich herausbrechen und manchmal ist der Schaden enorm hoch.
"Der Wind war es" ist bereits der dritte Roman, den Nataša Dragnić veröffentlicht hat. Es ist eine Geschichte, die wie der Südwind Jugo schrittweise ansteigt und immer wieder etwas windstill zu werden scheint. Doch in genau diesen windstillen Momenten baut die Autorin langsam aber stetig erneut Elemente, vor allem sprachlicher Natur ein, die den Lesefluss beschleunigen und so wilder und unberechenbar erscheinen, wie der Südwind, der den Protagonisten um die Nase weht. Dies schafft sie vor allem mit einer Reihe von Wortaufzählungen, knackigen Dialogen und mit kurzen Kapiteln. Immer wieder fragte ich mich, wo mich die Reise noch hinführen wird. Vor allem, wer mit wem und warum agiert. Denn hier liegt leider der einzige kleine Schwachpunkt. So wirr die Protagonisten vom Jugo auch gemacht wurden, so konfus wurde auch ich ab und an. Resultierend daraus habe ich wenig Tiefe in den Figuren sehen können. Einzig Julia und Toma, waren sie in einigen Szenen genauso undurchsichtig wie die Schauspielgruppe, konnten mich so richtig mitziehen. Bei anderen erweckte sich mir der Eindruck von leichter Verrücktheit. Wirkte es bei dem einen eher naiv und charmant, so gab es auch Figuren, die mir vollkommen unsympathisch erschienen. Gerade dadurch sind der Autorin einzigartige Charaktere gelungen, die man nicht unbedingt mögen muss, aber welche durchaus menschlich und vor allem verletzlich sind.
Das Ende ist, auch wenn im Seitenklappentext bereits beschrieben, ein richtiger Paukenschlag und das obwohl der stürmisch, grausame Jugo bereits abgezogen ist. Dennoch hat er einen Anteil an der Misere. Letztendlich bewegen nicht nur die Figuren, die Frage, nach dem eigentlichen Dasein und wo in der Welt man seinen Platz hat. Auch dem Leser wird bewusst, das nicht nur die Kraft der Natur gewaltig sein kann, sondern auch die der Liebe. Es ist wichtig zu wissen, was man will und vor allem wen, denn sonst kann es ganz leicht der Anfang vom Ende werden. Das Cover, welches wirklich wunderbar mit dem Inhalt des Buches harmoniert, wird selbst kurz Gegenstand der Geschichte, was wiederrum etwas Reales hervorruft. "Der Wind war es" ist ein Roman, der aufwirbelt, der zwischendurch windstill erscheint und dann auch richtig gefährlich und wild aufbraust. Ein Roman, der mit kleinen Ecken und Kanten eine Leseempfehlung aus dem Nestchen mehr als verdient hat. Aber auch ein Roman, der nicht innerhalb eines Sturmes gelesen werden sollte, sondern auch nach dem Abklingen Zeit braucht um sich in der Windstille in den Gedanken des Lesers zu entfalten.
Nataša Dragnić wurde 1965 in Kroatien geboren. Mit dem Blick aus ihrem Kinderzimmerfenster aufs Meer entwickelte sie ihre Liebe zur Natur. Sie stand als kleines Mädchen vor dem Spiegel und übte Grimassen, versuchte Gefühle zu transportieren, um einmal auf der Bühne zu stehen. Dies ist ihr gelungen. Obwohl sie zwischendurch ein abgeschlossenes Germanistikstudium hatte, Sprachen liebt und auch eine Diplomantenausbildung erfolgreich abgeschlossen hat. Das alles war ihr zu viel Politik, sie wollte zurück ans Meer. Was sie in ihren Roman ausdrucksstark zu ihren Lesern transportiert.
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Der Wind war es - Nataša Dragnić
Gegenwartsliteratur - Gebundene Ausgabe - ars vivendi Verlag
ISBN 978-3-869-13622-6 - Preis: 19,90 € (D) - 20,50 € (A)
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.