Montag, 21. März 2016

Ein Messe-Märchen...


...es war einmal ein kleiner beinah unbedeutender Satz, der packte seine Koffer, um in ein fernes Land namens Leipziger Buchmesse zu reisen. Er hatte so viel gehört von diesem sagenhaften Land, in dem es von Wörtern, Sätzen, ja gar ganzen Büchern nur so wimmeln sollte. Was würde er erleben? Wen würde er sehen? Waren die Büchermenschen ihm freundlich gesinnt? Würde am Ende seiner Reise mehr stehen, als nur dieser eine Satz?


Mit großem Staunen setzte er sich Buchstabe für Buchstabe in der Glashalle in Bewegung und traf sogleich auf eine sehr grimmig schauende Herzkönigin. Er war irritiert. War hier eine bestimmte Etikette erwünscht? Wie sollte er sich verhalten? Würde diese Königin ihm nach dem Bücherleben trachten, seine Träume gleich zu Beginn zerstören? Doch der Hutmacher strahlte ihn an und sagte: "Willkommen im Bücherwunderland, kleiner Satz!"


Voller Mut setzte der Satz sich in Bewegung und vernahm im Getümmel der Büchermenschen viele weitere Sätze. Er wollte ihnen folgen, doch sie waren so schnell und in unterschiedliche Richtungen unterwegs, dass er sich sogleich nicht entscheiden konnte, wohin er gehen sollte. Vollkommen durcheinander traf er auf einen kauzigen Kerl. War das etwa ein Pirat? Vielleicht entsprungen aus einem Abenteuerroman? Der kleine Satz war sehr aufgeregt, als Jack ihn ins Visier nahm. "Na? Du kleiner Satz? Hast du denn keine Angst, so allein, auf dieser Buchmesse?" Der Satz schüttelte all seine Buchstaben, die daraufhin hilflos durcheinander purzelten. "Das ist beeindruckend unhilfreich.", stellte Jack fest und half dem Satz sich wieder zu sortieren.


Dem Satz wurde ganz bang und er eilte hinfort von all den Abenteuern und hin zu märchenhaften Geschichten für große und kleine Leser. Fasziniert von Prinzessinnen, Einhörnern und Elfen traf er die bezaubernde Cinderella. Er strahlte sie an und bat sie, ihm zu sagen, was er denn machen muss, damit er Teil eines wunderbaren Buches wird. "Lass dir das Träumen nicht verbieten, kleiner Satz.", antwortete sie knapp und entschwand in ihrem traumhaften Gewand in eine andere Halle.


Lange sah er ihr nach und bemerkte nur langsam ein kleines Geräusch zwischen seinen Buchstaben. Was war das? War es möglich, dass auch ein kleiner Satz so etwas wie Hunger empfand? Finde es heraus, schienen ihm seine Buchstaben zu flüstern. Wie gut, dass genau in diesem Moment ein rotes Auto heranbrauste und sich ihm mit seinen Köstlichkeiten darbot. Die Buchstabenseele des kleinen Satzes war schnell zufrieden gestellt. Doch was machte er gegen den Lesehunger?


Wieder vernahm er viele andere Sätze. Sie schienen ihn zu rufen und warteten doch nicht auf ihn. Er musste sich beeilen und bei seinem hastigen Buchstabenwechsel hätte er beinah zwei finstere Gestalten übersehen, die sich ihm in den Weg stellen wollten. Erschrocken bremste er und schaute in die grimmigen Augen einer Elbin und ihrem Schöpfer. Was wollen die beiden bloß von einem so kleinen Satz wie mir? Sie könnten doch viel Größere haben! Noch während er dies dachte, änderten sich die Blicke der beiden. Sie lächelten, wenn auch nur schwach, doch es war ausreichend, um den kleinen Satz eine neue Bedeutung zu verleihen. Er hatte das Gefühl, er wäre nicht unbedingt länger, aber aussagekräftiger geworden.


Gestärkt durch diese kurze Begegnung vernahm er eine fröhliche Stimme. Draußen war es kalt und regnerisch, aber hier drinnen sang doch tatsächlich jemand vom Sommer. Ein kleiner weißer Kerl in Begleitung zweier wunderschöner junger Damen kam ihm entgegen. Der kleine Satz konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Was bitte wollte ein Schneemann mit Sommer? "Manche Menschen sind es wert, dass man für sie schmilzt" Dieser Satz drang ganz leise an sein Ohr. Noch bevor er diesen Satz fangen konnte, war der kleine Buchstabenreigen erneut allein. 


Langsam merkte der kleine Satz, das ihm jedes einzelne Zeichen zu schmerzen begann. Warum nur konnte er sich nicht mit den anderen Sätzen vereinen? Warum waren sie alle so schnell? Leicht ausgelaugt lies er seine mehr als vier Buchstaben auf eine wirklich sehr bequem aussehende Couch plumsen. Um in herum sah er lauter bunte Buchstaben. Gemütlich war es hier.


Der kleine Satz bemerkte, dass ihn jemand beobachtete. Ein kleiner Lesefuchs lugte hinter einer Pflanze hervor und schaute ihn an. "Du siehst buchstäblich niedergeschlagen aus!", meinte das kleine Kerlchen. Der Satz versuchte zu nicken, doch es gelang ihm nicht. Da hüpfte der kleine Lesefuchs hinter der Pflanze hervor und flüsterte dem Satz nur ein kleines Zitat ins Buchstabenohr. Daraufhin lächelte der kleine Satz.


Freudig verließ der kleine Satz nach vier Tagen das Bücherwunderland und war sich sicher, dass er mehrere Sätze finden würde, die mit ihm ein Buch bilden. Vor der Leipziger Buchmesse kam er sich doch etwas klein und unbedeutend vor und dann sagte ihm der Lesefuchs diesen einen für ihn so bedeutsamen Satz:

"Wegen eines Satzes lohnt es sich ein Buch zu kaufen."


 Aphorismus von Manfred Hinrich