Stell dir vor du lebst im Jahr 1848. Du arbeitest von morgens um 5:00 Uhr bis abends 19:00 Uhr in einer Fabrik und trotzdem bist du bettelarm. Du gehörst zur untersten Schicht, du lebst in Berlin Feuerland. Du siehst jeden Tag zum Schloss und weißt, dass es den Menschen darin an nichts fehlt. Wie weit würdest du gehen, würdest du kämpfen bis zum letzten, damit es dir etwas besser geht, damit deine Bedürfnisse gewürdigt werden.
Das Berliner Feuerland lag im heutigen Ortsteil Mitte und war zu damaliger Zeit das Herz der Industrie. Hier fanden sich Fabriken der Metallindustrie und des Maschinenbaus. Bereits im Jahr 1847 waren auf dem Gebiet des Feuerlandes 33 Fabriken in Betrieb und beschäftigten mehr als 3000 Menschen. Den Namen "Feuerland" erhielt die Gegend, weil die vielen Fabriken zur Produktion sehr viel Feuer brauchten und aus den Schornsteinen der selbigen eine Menge Rauch in den Himmel stieg. Im Laufe der Zeit verlagerten sich die Fabriken eher an Randgebiete Berlins, so das heute nur mehr wenige Zeugnisse an die damalige Zeit im Feuerland erinnern.
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Gemälde der Borsig Maschinenbau-Anstalt von Karl Eduard Biermann 1847 |
Hannes ist selbsternannter Fremdenführer im Berlin Feuerland. Er führt betuchte Damen durch die elenden Viertel, gewährt Einblicke in das arme Leben der Arbeiter. Die Damen bezahlen ihn und Hannes spart eisern jedes einzelne Geldstück. Bei einer dieser Führungen lernt er Alice kennen, die im Berliner Stadtschloss als Tochter des Kastellans zu hause ist. Auch wenn Hannes mit einigen Geschichten versucht, seine Führung so interessant und vor allem so elendig wie möglich zu gestalten, so kommt ihm Alice doch auf die Schliche. Sie sieht allerdings auch das wirkliche Elend und ist schockiert, dass Menschen in Berlin so leben müssen. Hannes und Alice sind beide von einander fasziniert und beginnen sich öfter und vor allem heimlich zu sehen. Doch die Märzunruhen im Jahre 1848 lassen ein Beisammensein der Beiden zur Unmöglichkeit werden. Hannes, der nie aktiv kämpfen wollte, findet sich plötzlich mittendrin. Er muss sich entscheiden...
"Berlin Feuerland" ist ein Historischer Roman über eine Zeit in der die Unterschiede zwischen den einzelnen Schichten enorm groß waren und der sich die Menschen der Unterschicht zur Wehr setzen wollten. Wie schon in vergangenen Romanen aus der Feder des Titus Müller, bedient sich dieser an realen Personen, die wirklich gelebt haben. Einzig die zwei Protagonisten sind erdacht, könnten aber so zu der Zeit gelebt, geliebt und gehandelt haben. Das macht den Roman zu etwas sehr einzigartigem. War man zuvor mit der Geschichte Berlins nicht so vertraut, so schafft es Titus Müller erneut, eine gewisse Neugier auf das Thema zu wecken. Besonders wichtig ist hierbei der Anhang, in dem der Autor den geschichtlichen Hintergrund etwas näher erläutert. Die Dauer der Handlung beschränkt sich auf einige Tage und hat doch eine sehr weitreichende Wirkung. "Berlin Feuerland" hat das Zeug zu einem echten Pageturner. Der Roman ist gespickt mit allerhand politischen Begebenheiten, die keinesfalls trocken oder angestaubt wirken, im Gegenteil, gerade diese Sequenzen sind sehr lesenswert und bieten eine große Abwechslung zur Geschichte um Hannes und Alice. Sie zeigt Hintergründe, lässt verstehen, warum die Personen im Roman handeln, wie sie es tun. Alle Figuren sind so gut ausgearbeitet, dass man sie sich bildlich vorstellen kann. Das dabei der ein oder andere vollkommen unsympathisch daher kommt, wertet den Plot sehr auf. Titus Müller hat einen sehr leicht zu lesenden Schreibstil und schafft es trotzdem die Fantasie der Leser anzuregen. Was würde ich anstelle der jeweiligen Figur tun? Ist ihr Handeln schlüssig? Auch während diese oder andere Fragen durch den Leserkopf fliegen, bleibt man trotzdem immer bei der Geschichte. Es fällt schwer zwischendurch eine Pause zu machen, zu groß ist die Neugier, was als nächstes passieren wird. Titus Müller schafft es mit diesem Roman, einen Teil der Berliner Geschichte so lebendig werden zu lassen, dass man meint, man stünde auf den Straßen des Elendsviertels genauso wie man die Treppen im Schloss erklimmt. Ein Roman der mit geschichtlichem Hintergrund, politischen Intrigen und vor allem mit einer zwar erdachten, aber sehr authentischen Liebesgeschichte aufwartet.
Titus Müller wurde 1977 in Leipzig geboren und veröffentlichte bereits 2002 seinen ersten Roman. Seitdem folgten diesem viele weitere historische Romane, die den Anspruch haben, sehr gut recherchiert zu sein und trotzdem sehr lebendig erscheinen. Er bedient sich dabei nicht nur einer Epoche sondern wechselt mit seinen Romanen gern. Das wiederum macht die Vielfalt für den Leser aus. Titus Müller war bereits Autor des Monats auf Buchgefieder und wird auch in Zukunft einen Platz im Nestchen haben.
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Berlin Feuerland - Titus Müller
Gebundene Ausgabe - Historischer Roman - Blessing Verlag
ISBN 978-3-896-67503-3 - Preis 19,99 €
Dieses Buch wurde mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.