Samstag, 23. Mai 2015

Nestgezwitscher mit Tanja Mikschi


In diesem Monat habe ich das große Vergnügen, euch eine Debütautorin etwas näher vorzustellen. Ihr habt nun schon meine Rezension zu ihrem Buch und einen kleinen Lesungsbericht vor die Augen bekommen. Wird es also Zeit, dass wir uns dem Gezwitscher nähern, welches auf der Buchmesse in Leipzig stattgefunden, aber mit dem ein oder anderen Feinschliff per Mail seine Vollendung fand. Zu Beginn möchte ich erneut darauf hinweisen, dass die private Atmosphäre des per Du-Seins, mit gegenseitigem Einvernehmen stattfand und es auch immer noch tut, was mich persönlich sehr freut.

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Wie kam es zum Interesse an indigenen Völkern? Gab es einen Auslöser oder hast du viel Indianerliteratur gelesen? Vielleicht hattest du auch ein besonderes Erlebnis, welches dich in diese Richtung gebracht hat?

Eine gewisse Begeisterung für Geschichte im Allgemeinen und für Indianer im Besonderen war bei mir schon als Kind vorhanden. Mit 14 Jahren lernte ich dann Victor kennen, der als Amerikaner in der Nähe meines Heimatortes stationiert war. Victor gehört zum Volk der Apachen. Durch ihn erfuhr ich auch, wie viel Missachtung die indigenen Völker in Amerika erleben, dass er sich in seiner Heimat oftmals als Mensch dritter Klasse fühlt. Für mich war das bis dahin unvorstellbar. Ich begann mich damals intensiv mit den indigenen Völkern Amerikas zu beschäftigen, sowohl mit deren jeweiliger Geschichte und Kultur, als auch deren aktueller Lebenssituation.

Wie kam es dann zu der Idee einen Roman zu schreiben?

Genau genommen kam diese Geschichte zu mir. Sie war eines Tages einfach da. Man kann das schwer beschreiben, aber ich hatte auf einmal bestimmte Bilder vor meinem inneren Auge und als ich sie genauer betrachtete, begann sich wie von selbst eine Geschichte daraus zu entwickeln. Je genauer ich hinsah, desto genauer konnte ich erkennen, was da geschah und warum es geschah. Diese Bilder haben mich geraume Zeit beschäftigt und so reifte der Gedanke, die ganze Geschichte aufzuschreiben.

Tanja in Aktion
Sind in deine Roman Charaktere zu finden, die auch real existieren? Vielleicht auch von bestimmten Menschen aus deinem Umfeld, einzelne Züge? Oder sind deine Figuren reine Erfindung?

In meinem Roman werden viele Menschen beschrieben, die einmal gelebt haben. Doch ich habe mich bei den Personen, die keinen historischen Hintergrund haben, nicht von Menschen aus meinem Umfeld inspirieren lassen, sondern bin einzig meinen inneren Bildern gefolgt.

Wie muss man sich die Recherchearbeit zu deinem Roman vorstellen? Wie lange hat es ungefähr gedauert, bis es dann eine Art Rohfassung gab?

Bevor ich mich an die Schreibarbeit gemacht habe, habe ich mich sehr intensiv mit der Recherche beschäftigt. Dazu nutzte ich unterschiedlichste Quellen, wie beispielsweise Fachliteratur und historische Berichte, zu dem historisches Filmmaterial, Dokumentationen und historische Fotografien und Artefakte. Aber auch durch Reisen, persönliche Kontakte und Gespräche erfuhr ich einiges. Insbesondere diese persönlichen Begegnungen und Eindrücke habe ich auf mich wirken lassen, genauso wie die landschaftlichen Gegebenheiten oder auch die heutige Lebenssituation dieser Menschen. Darüber hinaus hat mir ein befreundeter Ethnologe Quellen eröffnet, die ihm als Fachmann zur Verfügung stehen. Es war eine sehr intensive Arbeit. Alles in allem habe ich an dem Buch gut zweieinhalb Jahre gearbeitet.

Du warst viel unterwegs in Amerika, ist das denn auch immer noch so?

Im Moment kann ich leider gar nicht reisen, weil ich vor gut einem Jahr in Lateinamerika einen fast verhungerten Straßenhund aufgenommen und mit nach Deutschland gebracht habe. Ganz legal versteht sich, mit Quarantäne, Blutuntersuchungen und allem was dazu gehört. Mein Hundemädchen ist sehr, sehr anhänglich und kämpft noch mit Verlustängsten und den Gespenstern der Vergangenheit. Ich kann mir von daher im Moment nur schwer vorstellen, auf Wochen nicht für sie erreichbar zu sein. 

Gibt es bestimmte Kulturen oder Länder, die dich auf deinen Reisen sehr fasziniert haben? Im Gegensatz dazu gibt es vielleicht auch etwas, was dich eher schockiert hat?

Tanjas aktueller Roman
Das kann ich so pauschal nicht sagen. Es gibt bei den indigenen Völkern Amerikas eine unglaubliche kulturelle Vielfalt, die ursprünglich noch sehr viel größer war. Die Lebensumstände waren bisweilen äußerst different, so dass es sehr schwer fällt, hier etwas besonders hervorzuheben. Man kann beispielsweise die Cheyenne in Nordamerika nicht mit den Taíno in Lateinamerika vergleichen. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Welten. Das eine Volk lebte in Tipis in einer versteppten Graslandschaft, das andere in Dörfern mit Hütten aus Holz und Palmblättern und auch in Höhlen, nicht selten in Meeresnähe. Das eine Volk lebte nomadisch, das andere war sesshaft. Die einen kämpften im Winter gegen Eis und Schnee, die anderen hatten von Eis und Schnee noch niemals gehört. Entsprechend different sind die jeweiligen Kulturen und Lebensweisen gewesen. Und jede dieser Kulturen ist auf ihre Weise äußerst faszinierend und einzigartig. Aber natürlich begegnen eine hin und wieder auch kulturelle Aspekte, die sehr befremdlich sind. Ich war beispielsweise in einer Begräbnishöhle der Taíno und erfuhr dort, dass die archäologischen Funde dafür sprechen, dass in dieser Höhle mehrere Häuptlinge beigesetzt wurden,...jeweils mit ihren Frauen als Grabbeigabe. Bei solchen Informationen schluckt man dann schon.

Hast du jemals negative Resonanz erfahren, wenn du geäußert hast, dass du dich mit dem Thema indigene Völker oder Native Americans befasst?

Nein, im Gegenteil bin ich auf sehr viel Interesse gestoßen. Allerdings wurde an den Reaktionen auch oftmals deutlich, wie wenig Kenntnis die meisten bezüglich der indigenen Völker Amerikas haben. Sei es deren unterschiedliche Kulturen betreffend, als auch deren heutige Lebenssituation und das ist mehr als bedauerlich. Denn das himmelschreiende Unrecht, dass diesen Völkern angetan wurde, geht uns alle etwas an. Es waren schließlich Europäer, in der Hauptsache Spanier, Deutsche, Briten, Franzosen und Portugiesen, und natürlich deren Nachfahren, die dieses Drama angerichtet haben. Wir fühlen uns aber so weit weg davon und viele glauben auch, dass das alles lange vorbei sei. Doch das ist ein Irrtum. Das Unrecht wird bis zum heutigen Tage fortgeführt, viele indianische Völker leben weiterhin ausgegrenzt, diffamiert, isoliert und in bitterer Armut. Auch gab es niemals eine wirkliche Aufarbeitung der Geschehnisse, eine Anerkennung des Völkermordes, der Enteignungen und der Unterdrückung, geschweige denn eine angemessene Entschädigung. Und an dieser Stelle darf man auch eines nicht außer Acht lassen: Ein Trauma, dass nicht ernsthaft anerkannt und aufgearbeitet wird, pflanzt sich immer weiter fort, es bleibt lebendig und belastet und beeinträchtigt Generation auf Generation.

Hast du beim Schreiben ein bestimmtes Ritual? Brauchst du Musik im Hintergrund? Arbeitest du strikt nach Handlungsgerüst oder eher aus dem Bauch heraus?

Ich sehe die Geschichte wie einen Film vor mir und muss eigentlich nur noch mitschreiben. Für mich ist es dann wichtig, dass ich nicht gestört werde. Ich brauche meine Ruhe beim Schreiben. Das ist nicht immer ganz einfach, vor allem dann, wenn eine meiner Katzen in der Nähe ist und meint, sich schnurrend auf meine Tastatur rollen zu müssen.

Sind weitere Romane geplant oder war das eher ein kurzer Ausflug in die Welt als Autor?

Im Augenblick bin ich noch zu sehr mit meinem aktuellen Roman beschäftigt, um mich direkt in ein neues Projekt zu stürzen. Romane vom Fließband wird es von mir nicht geben. Aber es gibt da so eine Geschichte, die mir ab und an mal durch den Kopf geistert...erstes Recherchematerial liegt schon bereit.

Zum Schluss stelle ich dir selbstverständlich auch die buchgefiederte aller Fragen. Wenn du ein beflügeltes Wesen sein könntest, was wärest du dann und vielleicht magst du uns auch sagen, warum?

Es gibt viele Vögel, zu denen ich ein besonderes Verhältnis habe, Kraniche zum Beispiel oder Habicht und Waldkauz. Doch eine ganz besondere Liebe verbindet mich mit der Amsel. Ohne ihren Gesang hätte der Frühling für mich sehr viel von seinem Zauber verloren. Die Amsel ist ein kluger Vogel, freundlich, mutig und auch sehr flexibel und erfindungsreich. Sie begrüßt mit ihrem Lied jeden neuen Tag, genauso wie jede heraufziehende Nacht, sie singt, wenn es zu regnen beginnt und auch, wenn wieder die Sonne scheint. Sie nimmt alles, wie es kommt und macht einfach ein Lied daraus, ein wunderschönes noch dazu.

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Vielen Dank liebe Tanja, dass du mir meine Fragen beantwortet hast und so uns einen kleinen Einblick gewährt hast, wie du dich als Debütautorin in die Welt der Literatur eingearbeitet hast. Ich hoffe sehr, dass dir unser Nestgezwitscher genauso viel Spaß gemacht hat, wie mir. Ich wünsche dir noch viele tolle Lesermeinungen und für die Zukunft einige Geschichten vor dem inneren Auge.

Tanjas erster Roman "Auf den Spuren des Luchses" ist beim TraumFänger Verlag erschienen. Meine Rezension findet ihr hier.